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Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 03.05.2005
Aktenzeichen: 4 Ss OWi 279/05
Rechtsgebiete: StPO
Vorschriften:
StPO § 267 | |
StPO § 35 |
Beschluss
Bußgeldsache
gegen S.A.
S.A.
wegen Verkehrsordnungswidrigkeit.
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Steinfurt vom 15. Dezember 2004 hat der 4. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Hamm am 03. 05. 2005 durch den Richter am Oberlandesgericht als Einzelrichter gemäß § 80 a OWiG auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:
Tenor:
Das angefochtene Urteil wird mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an das Amtsgericht Steinfurt zurückverwiesen.
Gründe:
I.
Das Amtsgericht hat den Betroffenen am 15. Dezember 2004 wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerorts um 42 km/h zu einer Geldbuße von 300,- € verurteilt.
Hiergegen wendet sich der Betroffene mit seiner zulässigen Rechtsbeschwerde, der ein - zumindest vorläufiger - Erfolg beschieden ist.
II.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Zuschrift vom 25. April 2005 Folgendes ausgeführt:
"Die tatsächlichen Feststellungen des Amtsgerichts sind lückenhaft und tragen die Verurteilung wegen lediglich fahrlässiger Verkehrsordnungswidrigkeit, weil "der Betroffene seine Geschwindigkeitsüberschreitung (hätte) bemerken und unterlassen können", nicht. Ausweislich der Urteilsgründe hat sich der Betroffene dahin eingelassen, er habe "seine Geschwindigkeit erhöht, so dass es zu der festgestellten Überschreitung gekommen sei", und die Rechtsauffassung vertreten, die Geschwindigkeitsüberschreitung sei gerechtfertigt, weil er sie zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr für ein höherwertiges Rechtsgut begangen habe. Dies drängt zu der Annahme vorsätzlichen Handelns, indem der Betroffene in Kenntnis der angeordneten Geschwindigkeitsbeschränkung die gefahrene Geschwindigkeit willentlich auf die gemessene Geschwindigkeit erhöhte. Insoweit hätte es weiterer Feststellungen dazu bedurft, von welcher zulässigen Höchstgeschwindigkeit der Betroffene ausging und welche Geschwindigkeit er im Zeitpunkt der einsetzenden Geschwindigkeitserhöhung bereits fuhr, um rechtsfehlerfrei eine vorsätzliche Geschwindigkeitsüberschreitung ausschließen zu können.
Die Urteilsgründe sind zudem widersprüchlich und lückenhaft, soweit das Amtsgericht auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen die Schlussfolgerung zieht, der Betroffene habe sich "nicht im Einsatz" befunden und hätte "auch die zuständige Polizeidienststelle informieren können". Darüber, ob das Fahrzeug des Betroffenen mit Sprechfunk ausgestattet war oder der Betroffene ein Mobiltelefon mitführte, wodurch er überhaupt erst in die Lage versetzt wurde, ggf. die "zuständige" Polizeidienststelle zu informieren, verhalten sich die Urteilsgründe nicht. Die Folgerung, der Betroffene habe sich "nicht im Einsatz" befunden, kann keinen Bestand haben, weil das Amtsgericht ausdrücklich festgestellt hat, dass es sich bei dem Betroffenen um einen Polizeibeamten handelt und er mit einem mit Behördenkennzeichen (MS-XXXX) versehenen Fahrzeug unterwegs war. Diese beiden Umstände im Zusammenhang indizieren zunächst eine dienstliche Zweckveranlassung der Fahrt, weshalb es weiterer Ausführungen dazu bedurft hätte, warum der Betroffene sich nicht im Einsatz befunden haben soll.
Schließlich lassen die Urteilsgründe besorgen, dass das Amtsgericht die Tragweite des Sonderrechts gem. § 35 StVO verkannt hat. Das Sonderrecht gem. § 35 Abs. 1 StVO steht einem Polizeibeamten zur Erfüllung hoheitlicher Aufgaben auch dann zu, wenn er sich nicht im Dienst befindet und mit seinem Polizeifahrzeug unterwegs ist (Senatsbeschluss vom 19.09.2002 - 4 Ss OWi 776/02 -; OLG Stuttgart, Beschluss vom 07.10.1991 - 3 Ss (12) 400/91). Die Einlassung des Betroffenen als wahr unterstellt, hätte er hoheitliche Aufgaben wahrgenommen, denn zur Aufgabe der Polizei gehört es gem. §§ 1 Abs. 1, 8 Abs. 1 PolG NW i.V.m. § 44 Abs. 2 S. 2 StVO, Gefahren für die öffentliche Sicherheit und namentlich den Straßenverkehr abzuwenden. Ungeachtet einer innerbehördlichen Aufgabenverteilung und des dem Betroffenen konkret erteilten dienstlichen Auftrags war er damit "zuständig" und durfte nach dem ihm zustehenden Beurteilungsspielraum in Anbetracht der naheliegenden Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts eigenem Tätigwerden unter Inanspruchnahme von Sonderrechten den Vorzug vor der Benachrichtigung einer anderen Polizeidienststelle geben.
Eine Sachentscheidung des Senats selbst gem. § 79 Abs. 6 OWiG kommt indessen nicht in Betracht, weil weitere tatsächliche Feststellungen zu der Frage erforderlich sind, ob der Betroffene tatsächlich wie von ihm behauptet hoheitliche Aufgaben wahrgenommen hat, zu deren Erfüllung die Geschwindigkeitsüberschreitung dringend erforderlich war. Zur Aufklärung dieser Frage wird das Amtsgericht ggf. durch Beiziehung des nicht teilweise verdeckten Messfotos zu prüfen haben, ob sich weitere Insassen im Fahrzeug des Betroffenen befanden. Da es sich um ein Behördenfahrzeug handelte, wird sich ferner die Einholung einer Auskunft der Behörde nach etwaigen Mitfahrern aufdrängen, die ggf. Auskunft dazu geben können, ob das von dem Betroffenen behauptete Verkehrsgeschehen tatsächlich stattgefunden hat. In diesem Rahmen wird das Amtsgericht ebenfalls zu erörtern haben, wie der Widerspruch zu erklären ist, dass zwar das Fahrzeug des Betroffenen von der Geschwindigkeitsmessanlage erfasst wurde, jedoch nicht der von ihm angeblich verfolgte Pkw Typ VW Passat. Auf der Grundlage der derzeitigen tatsächlichen Feststellungen ist jedenfalls nicht nachvollziehbar, woran der Betroffene welche konkreten Mängel der Ladungssicherung erkannt haben will, wenn er sich offenkundig in solcher Entfernung hinter dem behaupteten verfolgten Fahrzeug befand, dass er seine Geschwindigkeit um mehr als 40 km/h erhöhen musste, wobei der verfolgte Pkw - wie sich aus der mangelnden Erfassung durch die Geschwindigkeitsmessanlage ergibt - offenkundig die bestehende Geschwindigkeitsbeschränkung eingehalten hat.
Insoweit wird es auch darauf ankommen, ob im weiteren Verlauf der Bundesstraße Lichtzeichenanlagen oder die zulässige Höchstgeschwindigkeit weiter herabsetzende Verkehrszeichen aufgestellt sind, so dass auch für den Betroffenen zu erwarten stand, dass das angeblich verfolgte Fahrzeug seine Geschwindigkeit weiter herabsetzen oder sogar anhalten werde."
Dem schließt sich der Senat an.
Der Änderung der Schuldform stünde im Falle neuerlicher Verurteilung das Verschlechterungsverbot nicht entgegen, da dieses nur die Art und Höhe der Rechtsfolge betrifft, §§ 79 Abs. 3 OWiG, 358 Abs. 2 StPO (vgl. Senatsbeschluss vom 30. März 2005 - 4 Ss OWi 173/05 - bei beck-online -).
Ende der Entscheidung
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